Als ich das erste Mal in eine Tropézienne biss, wusste ich nicht was mich im nächsten Moment erwarten würde. Was von außen nach einem Streuselstückchen deutscher Bäckerszunft aussah, war ein Erlebnis der anderen Art.
Zuerst war mein auf mittleren Teigwiderstand eingestellter, beherzter Biss zu kräftig für den feinluftigen Teig. Dies hatte umgehend zur Folge, dass ich die zwei Teighälften so ungestüm und fest aufeinander presste, dass die innere Creme verdrängt und unschön nach außen gequetscht wurde – und sich somit gleichmäßig auf beiden Backenseiten verteilten, versteht sich.
Erwartungsfrohe Augenpaare waren auf mich gerichtet, schließlich war es meine erste Tropézienne und meine Gastgeber, die beim Bäcker des Vertrauens die letzten zwei dieser heißbegehrten Teilchen ergattert hatten, freuten sich nun auf mein erstes Abenteuer damit.
Während ich versuchte, beim Kauen das erste Missgeschick elegant mit einer Serviette zu kaschieren, flog auch schon eine Wolke Feinbstaubzucker in meinen Rachen. Der Boulanger hatte es wirklich gut mit dem Puderzucker gemeint und auf der Oberseite der Tropézienne eine hübsch anzusehende, aber nicht unbedingt gut zu verspeisende Schichte verteilt. Ich bin mir sicher, jeder hat schon mal einen solchen Tiramisu-Moment erlebt. Glücklicherweise hat Puderzucker eine nicht ganz so feuchtigkeitsabsorbierende Wirkung wie Kakao und somit löste sich der Puderzucker inmitten des Hustenanfalls in zuckrigen Wohlgefallen auf.
Noch immer mit den Nachwirkungen der ersten zwei Schocksekunden dieses einen Bisses beschäftigt, kam danach endlich der erfreuliche Part dieser tropischen Köstlichkeit. Eine feine Creme verströmte in ihren im Mund gelandeten Resten eine verlockend intensive Orangigkeit. Schade, dass ihr Großteil in meine Serviette geschmiert war und den Weg nicht zum Gaumen gefunden hatte. Kurz in die Orangenwolke abgetaucht kam ich wieder zu Sinnen, als meine Gastgeber ihre Erwartungsfreude nicht mehr aushielten und ungeduldig fragten „Und, wie findest Du das?“. Letzte Reste des Puderzuckers, noch immer an meinen Lippen hängend, bliesen in die Luft. Kleine, pudrige Gedankenwölkchen. Die Intensität des Geschmacks hielt mich noch kurz gefangen bevor ich endgültig antworten konnte.
„Wunderbar orangig“ entfloh es den Puderwolken „und viel feiner als das deutsche Streuselstückchen, an das es optisch erinnert.“. Während die feinen Staubzuckerpartikel durch die Luft schwebten, erhellten sich die Gesichter meines Publikums in Freude über die gelungene Geschmacksüberraschung.
La Tropézienne
Das elegant orangige Aroma, verursacht durch eine gehörige Menge Orangenblütenwasser, das in einer dezent vanilligen Crème Patissière eingebunden ist und sich mit einer guten Portion feinschaumiger Chantilly zu einer federleichten Crème verwandelt, blieb seitdem nachhaltig in meinem Kopf. Kein Wunder, dass es auch das Erste war, was ich in der Boulangerie kaufte, als ich das nächste Mal in der Provence ankam. Auch das Letzte, was ich vor meiner Abreise nochmal essen musste. Nicht zu vergessen, die unzähligen Male zwischendurch, wenn ich wieder auf der pudrigen Orangenwolke schweben wollte.
Tropézienne ist sowohl als kleines Einzelportionsteilchen zu kaufen als auch in mittelgroßer oder kuchengroßer Form. Wie viele andere regionale Spezialitäten gibt es hier kein richtig oder falsch, denn jeder Bäcker und jede Tropézienne-verrückter Heimbäcker hat sein eigenes Rezept. Mal ist der Teig fluffiger, mal fester, mal ist er nur mit Chantilly gefüllt, mal mit Crème Patissière, mal mit einer Mischung aus beiden.
Am klassischsten ist die Variante mit Orangenblütengeschmack, aber weil nicht jeder das mag und das Orangenblütenwasser zudem auch ein nicht unerheblicher Kostenfaktor ist, wird an anderen Stellen auch gänzlich darauf verzichtet. Man muss sich also durchprobieren, um seine präferierte Variante zu finden. Und dann bleibt man diesem Bäcker am besten treu, damit er auch weiterhin diese Köstlichkeit produziert.
Eine andere Variante ist selbstverständlich das Selbstbacken. Meine ganz eigene Tropézienne steht natürlich längst auf meiner Backvorhabenliste. Ich wäre wohl nicht mehr ich, wenn ich nicht das Geheimrezept meine favorisierten Boulangerie knacken wollen würde und dabei auch gleich geschmackliche Verbesserungen im Kopf hätte. Die ersten Experimente werden bald folgen. Und bestimmt auch ein entsprechender Bericht dazu. Eines ist jedoch jetzt schon klar: die Puderzuckermenge zur Dekoration wird drastisch sinken.
Vive la France et les Gourmandises Françaises!
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