Manche Dinge können einfach nicht schlecht schmecken. Dazu gehören in meiner Genusswelt alle Gerichte, die mit ordentlich Wein gekocht werden. Nicht nur der Coq au Vin, das Riesling Kaninchen oder jedes Risotto profitieren vom Geschmack des Göttertrunkes, sondern prinzipiell und immer jede Sauce dieser Welt – ganz gleich zu welchem Gericht man sie servieren oder worüber man sie gießen wird.
Wein, vorausgesetzt man nutzt nicht unbedingt das günstige Tetrapak aus den untersten Supermarktregalen, sondern einen passablen, aromatischen Wein, der auch im Glas durchaus genießbar und abendbereichernd wäre, komplettiert allerlei Speisen mit einer unnachahmlichen Geschmackstiefe. Kräftig, aber nicht übermäßig dosiert, bringt er so meine Geschmackspapillen zum Tanzen.
Ich erinnere mich an einen Tag am Institut Paul Bocuse, an dem ich in die hohe Kunst der Oeufs en Meurette eingewiesen wurde, einem klassischen Eiergericht aus der Bourgogne. Früh am Morgen bereiteten wir eine ganze Menge unterschiedlichster Eierspeisen zu, welche wir im Anschluss als spätes Frühstück gemeinsam aßen. Oeufs en Meurette standen weiter hinten auf der to-do-Liste, weil die Zubereitungszeit ihrer Sauce etwas Zeit in Anspruch nehmen würde. Noch bevor wir uns ereiferten, das perfekte Omelette zuzubereiten, bereiteten wir also die Sauce für die Oeufs en Meurette vor, damit sie fleißig köcheln und einreduzieren konnte, während wir uns erst einmal anderen Eierspeisen widmeten.
Eine Sauce Meurette gleicht in ihrer Grundzutatenliste der Sauce Bourguignonne und besteht deshalb vor allem aus Rotwein, darin gekochten Schalotten, einem Bouquet Garni (dem bekannten Kräutersträußchen), etwas Knoblauch und Butter. Für etwas Süße im Gericht wird ab und an auch eine Karotte mitgekocht. Soweit jedenfalls die Inhalte der burgundischen Grundsauce, die natürlich am liebsten mit einem roten Burgunder guter Qualität gekocht wird. Zur Sauce Meurette entwickelt die Bourguignonne sich aber erst weiter, wenn sie mit ausgelassenem Speck angereichert wird. Sie wächst dann noch ein kleines Stückchen über ihre auch vorher schon vorhandene Saucenerhabenheit hinaus, möchte ich behaupten. Seltener findet man sie auch noch mit Champignons ergänzt.
Während wir rührten, köchelten und alles fleißig einreduzieren ließen, versuchte ich immer wieder, diese herzhafte Sauce gedanklich mit dem Eiergeschmack zu kombinieren. Vergebens. Bislang hatte ich noch niemalsnie ein Ei mit Rotweinsauce begossen. Wie grob fahrlässig dieses bisherige kulinarische Verhalten war, wurde mir aber erst später bewusst.
Als die Sauce endlich allein dem Köcheln auf sanfter Flamme und ihrer Vollendung überlassen werden konnte, konzentrierten wir uns zunächst auf andere Eiergerichte und anschließend auf die nächsten Schritte in der Oeufs en Meurette Fertigstellung. Mit großer Hingabe versuchte jeder Kursteilnehmer das schönste pochierte Ei aus dem Topf zu jonglieren. Wir bemühten dafür unterschiedlichste Techniken, staunten über die makellosen Exemplare unseres Chef de Cuisine und eiferten seiner Pochierkunst mit immer neu aufgeschlagenen Eierschalen und Schweißperlen auf unserer Stirn hinterher.
Als endlich der finale Akt folgen sollte – ein Haufen nahezu makelloser pochierter Eier türmte sich mittlerweile vor uns auf – war unsere Sauce Meurette, die zu Beginn noch rotweinflüssig vor sich hin geköchelt hatte, in eine feingebundene, kräftig abgeschmeckte und intensiv weinwürzige Sauce verwandelt. Tiefe, subtil erdige, ausgewogen salzig-speckige und im Gegenzug fruchtige Aromen brachte sie zutage. Immer wieder wanderten unsere Degustationslöffel in die Töpfe, kaum einer konnte der Sauce widerstehen.
Noch bevor wir dieses fantastische Gebräu über die glatthäutig pochierten Eier gießen durften, rösteten wir sorgsam kleine Brotscheiben kross an, platzierten sie auf Tellern, betteten jeweils ein pochiertes Ei auf ihnen und übergossen sie schlussendlich mit dunkelroter, fast schon ins Braune schwankender Sauce. Et voilà: fertig waren unsere Oeufs en Meurette.
Mit einem beherzten Schnitt ins Ei ergoß sich das goldene, flüssige Eigelb über das Gericht und vermengte sich stellenweise mit dieser buttrig-würzig-salzigen Sauce und den Speckstückchen. Das knusprige Brot ist unersetzlicher Bestandteil, der optimale Kontrast zum weich-cremigen Ei und der reichhaltigen Sauce. Eine kleine Pause war nun angebrochen, alle genossen andächtig schweigend das köstliche Zwischenmahl und tuschelten im Anschluss begeistert über dieses unvermutet einfache, aber dennoch überwältigende Geschmackserlebnis.
Was ich gedanklich bis zu diesem Punkt nicht hatte zusammenfügen können (oder wollen), begeisterte mich nun so sehr, als hätte ich es schon hunderte Male gekostet. Manchmal muss man eben erst einen kleinen Gedanken- oder Verkostungssprung machen, um in neue Sphären einzutauchen. Seit jenem Tag bin ich süchtig nach Oeufs en Meurette. Kaum ausgesprochen, läuft mir das Wasser im Mund zusammen.
Folgt man konsequent der klassischen Zubereitungsart des Burgunds, werden die Eier direkt im Rotwein pochiert. Wer sich aber der Pochierkunst noch nicht ganz sicher ist und deshalb lieber freie Sicht im Pochierwasser hat (oder den feinen Wein einfach in größerer Menge in der fantastischen Sauce einkochen will), der kann die Eier natürlich auch im siedenden Wasser pochieren. Beide Varianten liefern tadellose Ergebnisse und überraschte „Ahs“ und „Ohs“ im Anschluss.
Vive la France et les Gourmandises Françaises!
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Das ist meinen ersten Beitrag mit meinem neuen iPad. Sehr schönes Rezept. Bis bald, Fabien