Zuerst dachte ich, es handele sich um ein falsch geschriebenes Cassoulet, als ich das erste Mal Cassolette bestellte. Ich war mitten im Herzen des Burgunds, saß in einem kleinen, unauffälligen Restaurant, das regionale Spezialitäten anbot, und bestellte in der Sicherheit, gleich ein Gratin serviert zu bekommen. Ich lag falsch.
Was mir vorgesetzt wurde, war ein weißes Löwenkopf-Töpfchen, diese klassisch schönen, die man unabdingbar mit Frankreich verknüpft, über die man sich aber im Geschirrschrank immer gehörig ärgert, weil sie sich einfach nicht richtig stapeln und platzsparend verstauen lassen. In diesem Töpfchen, stilecht auf karierter Serviette platziert, wartete ein Süppchen auf mich, dass nicht einmal annähernd versuchte, optisch einem Cassoulet zu ähneln. Irritiert blickte ich in die Tiefe zwischen den Löwenköpfen, starrte auf eine helle Suppenflüssigkeit, blickte noch einmal fragend auf die Tageskarte, las nach, fand keinen Hinweis, schaute noch einmal in das Töpfchen. Cassolette – war das nun etwa doch was anderes?
Mit skeptisch gerunzelten Augenbrauen nahm ich meinen Löffel zur Hand, grub ihn in die Tiefe der Flüssigkeit hinein, fand große Stückchen, brachte sie mit dem Suchgerät zutage. Schnecken! Schnecken? Hm. Ein wirklich seltsames Cassoulet. Ich wagte einen Versuch. Eine leichte, frische Suppe überraschte mich. Mit der Säure von Sauerrahm oder Crème Fraîche, der vollmundigen Frische eines mit Weißwein gekochten Gerichts, feiner Würze von Zwiebel und Knoblauch, frischem Schnittlauch und dicken, saftigen, charakteristisch nach frischer Erde schmeckenden Burgunderschnecken. Wenn es Liebe auf den ersten Biss gibt, war das einer dieser Momente.
Sofort begriff ich, dass Cassolette eine meiner neuen Lieblingssuppen sein würde. Sie war warm und wohltuend, aber trotzdem genau richtig für diesen frühherbstlichen Tag, an welchem die Sonne durch die sich langsam auf den Herbst vorbereitenden Bäume funkelte und mir wegen eines ersten kühlen Windes trotzdem schon nach seelenwärmendem Herbstessen war, weshalb ich mich für die reichhaltige Cassoulette entschieden hatte, die mir nie gebracht wurde, weil sie gar nicht auf der Tageskarte stand.
Seitdem esse ich Cassolette bei jeder Gelegenheit, die sich nur bietet. Vielleicht, weil sie sich nicht allzu oft bieten – schließlich sind die wirklich guten, fetten Burgenderschnecken nicht immer und überall erhältlich. Bei jedem Besuch im Burgund kaufe ich einige Dosen der besten Schnecken, die ich nur bekommen kann, um daraus – unter anderem – Cassolette zu kochen. Wann auch immer mir danach ist. Es sollten am besten die wirklich großen Schnecken sein, die saftiger und bissiger sind, vor allem aber nicht so schnell fest werden wie die kleinen Exemplare.
Für Schneckenliebhaber ist sie ein Muss. Und alle, die glauben, sie mögen keine Schnecken, sollten diese Suppe unbedingt einmal probieren und den Schnecken damit eine letzte Chance geben. Das Wunder der Cassolette hat in meinem Beisein immerhin schon ein paar Schneckenverweigerer dazu bewogen, den kleinen Kriechtierchen ihre Berechtigung auf dem Speiseplan zuzugestehen. Das Wunder der Cassolette mag nicht jeden zum Schneckenliebhaber machen, aber sicher zum Schneckenakzeptierer.
Wer nun glaubt, er könne das Süppchen einfach ohne Schnecken zubereiten, um langjährig gehegte Aversionen sorgfältig weiter zu pflegen, dem sei geraten, das lieber sein zu lassen. Das Geschmacksprofil der Cassolette ist nämlich ausschließlich mit Schneckeneinlage komplett und ausgewogen. Ohne fehlt ihr etwas. Also nur Mut, traut euch ran an die Schnecken!
Vive la France et les Gourmandises Françaises!
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